Ich glaube, im Leben geht es ums Geben. Dieser Grundsatz ist, seit ich denken kann, in mir verwurzelt. Im Leben geht es ums Geben. Um Freude, Liebe und Mitgefühl. Um Verständnis, Wärme und Wertschätzung. Ich glaube, wer gibt ist reich. Wer gibt hat verstanden nicht alleine auf dieser Welt zu sein und wer gibt hat verstanden dass man nichts verliert.
Den traurigsten Winter meines Lebens habe ich vor einigen Jahren in Berlin verbracht. Kein Winter hat mich je trauriger gemacht als dieser. Und ich liebe den Winter. Nicht, weil ich unglücklich und einsam in dieser Stadt war, das war ich, aber das war es nicht. Es war mein Weg zur Arbeit. Jeden kalten Tag bin ich an so vielen Menschen vorbei gekommen, denen ich nicht helfen konnte. Ich konnte ihnen einfach nicht helfen und das hat mich so unfassbar traurig gemacht. Wenn ich könnte, ich würde jeden Menschen, der sich für ein Leben auf der Straße entscheidet drücken, zu mir nach Hause auf mein Sofa nehmen, weiche Handtücher aufs Kissen legen und solange Tee kochen bis er auch im Herzen nicht mehr friert. Wenn ich könnte, ich würde das tun und jeder Weg für mich war ein Stich ins Herz. Aber Geben ist so viel mehr. Also fing ich an Bleche voller Gutsle zu backen. Schön verpackt mit Mandarinen und Zweigen. Jeden Tag nahm ich die Beutel mit gab sie den Gruppen, an denen ich an diesem Tag vorbei ging und jedes Mal bekam ich ein Lächeln zurück, wärmer als jedes Leuchtfeuer. Wie Julia Engelmann sagt, es geht nicht um wie viel sondern darum dass du gibst.
In diesen Tagen laufen wir durch die Straßen und kaufen Berge von Päckchen in buntem Papier weil wir so gerne schenken und die Vorfreude auf das was kommt ist vielleicht die schönste im Jahr. Schenken schenkt Freude und vielleicht ist diese Zeit auch deshalb so magisch.
Und dann sitzen dort zwischen unseren Füßen Menschen, mit Kartons in der Hand oder Kaffeebechern vor den Füßen. Und vielleicht können wir nichts daran ändern, dass sie dort sitzen aber wir können sie sehen.
Viel zu oft sehen wir Menschen an aber wir sehen sie nicht. Statt das Kleingeld, das wir zurück bekommen in unseren Geldbeutel zu tun, können wir es in die Jackentasche stecken und wann immer wir jemanden sehen, der Hilfe braucht greifen wir rein. Denn am Ende ist es ganz egal warum er dort auf dem kalten Boden sitzt. Völlig egal. Es ist nicht wichtig ob er aus eigenem Verschulden dort sitzt oder aus einer Verkettung unglücklicher Umstände.
Es ist nicht wichtig, denn was zählt ist, dass er dort sitzt.
Und wir nicht.
Am Ende des Tages fehlen uns ein paar Euro nicht. Zwischen all den Einkäufen merken wir nicht ein mal, dass ein paar Münzen fehlen. Aber irgendwer hat vielleicht ein bisschen mehr Hoffnung. Auf ein warmes Essen vielleicht oder auf ein besseres Morgen. Vor ein paar Wochen saß ich in Berlin im Zug und ein junger Mann mit all seinem Hab und Gut wollte seine Zeitung verkaufen. Ich hab telefoniert und ihn erst nur angelächelt ohne mich zu rühren und er lächelte zurück. Und dann hab ich aufgehört zu telefonieren, meinen Not-Zehner aus meiner Handyhülle genommen und ihn in seinen Becher gesteckt. Ich bekam das Lächeln eines fünfjährigen Jungens zurück, der gerade den Weihnachtsmann gesehen hat. Am Ende tat es kein bisschen weh. Wenn ich mit einem Schlag so viel Geld ausgeben kann, um einfach so Zeit mit einem lieben Menschen 800km von Zuhause zu verbringen, dann kann schmerzt so ein kleiner Schein eigentlich nicht. Aber für einen anderen ist das vielleicht ein warmes Essen. Oder nur eine Flasche Schnaps, die ihn von Innen wärmt aber das ist nicht wichtig. Kein bisschen.
Denn uns, uns schmerzt es nicht.
Ich saß auf dem Sofa und während Günther seine Fragen zur Million stellt kam ständig der SMS-Hinweis zur Spende für Wir helfen Kinder. Und dann dachte ich – Warum denn nicht. 10 Euro, das ist ein Bruchteil von den letzten Schuhen, die ich mir leisten konnte und wollte. Und wenn nur 100 Menschen auf dem Sofa so denken wie ich, dann können 1.000 Euro etwas Gutes tun.
Vor ungefähr zehn Jahren habe ich etwas von Delphine de Vigan gelesen, dass mich nie wieder losgelassen hat. Wohin ich gehe, ich trage diesen Abschnitt immer in meinem Herzen und erinnere mich daran wie viel ich habe und wie viel mehr ich geben kann. Liebe, Freude, Wertschätzung und und Mitgefühl.
“Wir sind imstande, Überschallflugzeuge und Raketen ins All zu schicken, einen Verbrecher anhand eines Haars oder eines winzigen Hautpartikels zu identifizieren, eine Tomate zu züchten, die im Kühlschrank drei Monate lang völlig faltenfrei bleibt, und Milliarden von Informationen auf einem Mikrochip zu speichern. Wir sind imstande, die Leute auf der Straße sterben zu lassen.” (No & ich)
Das trage ich in mir. Um mich immer daran zu erinnern, dass es im Leben darum geht zu Geben. Dass es darum geht hinzusehen. Zu erkennen und zu fühlen.
Lasst uns mit offenen Augen und offenen Herzen durch die Welt gehen und lasst uns einander ansehen. Ohne wenn und ohne aber. Denn im Leben geht es um die Menschen. (aus Verborgene Schönheit)
Und das ist das, was wirklich zählt.