Jeder hat ein Geheimnis. In der Nachttischschublade, unter dem Kopfkissen, in einer Kiste unter dem Bett oder auf dem staubigen Schrank, in der Jackentasche oder unter der Haut, irgendwo verstecken wir alle etwas. Etwas dunkles, zerbrechliches, vergessenes, verdrängtes. Etwas Wunderschönes, leuchtendes, das zu wertvoll ist, um es zu teilen, glänzend und vollkommen, vielleicht. Irgendwo versteckt jeder etwas, das für jeden Anderen unsichtbar sein soll. Ein abgerissenes, beschriebenes Stück Papier, ein zerbrochenes Glas, ein vergilbtes Bild aus vergangenen Tagen, eine Muschel oder eine kleine Narbe unter dem Knie. Manchmal ist dieses Geheimnis sogar sichtbar für jeden. Es liegt in keiner Schublade und verstaubt in keiner Kiste, es bewegt sich vielleicht und atmet. Es ist sichtbar für jeden. Manche Geheimnisse schreien. Manche Geheimnisse schreien so laut, dass im Kopf nur noch leere Echos umherhallen, schreien so laut, weil sie unter der Haut keinen Platz mehr haben, weil sie Raum brauchen, frische Luft. Und jemanden der sie bei sich trägt, bis sie zurück können.
Unsere Geheimnisse brauchen einen sicheren Ort, damit wir einmal durchatmen können.
2012